Die Zukunft der medizinischen Information

Ärztetag: High Noon in Essen

Die gematik mit ihren Projekten rund um die elektronische Patientenakte (ePA) und das e-Rezept war lange regelmäßiger Gast in diesem Blog. Die jahrelangen Verzögerungen und Erklärungen dazu gehören zu den Highlights deutscher Projektkunst. Doch der Hype um die Künstliche Intelligenz (KI) hat sogar dieses Thema etwas an den Rand gedrückt.

Erst der Ärztetag letzte Woche in Essen hat ihm wieder Leben eingehaucht. Die nüchterne Nachricht lautete so: „Der Ärztetag stimmt gegen die Entscheidung des Bundesgesundheitsministerium (BMG), die für die Digitalisierung zuständige Gematik vollständig zu verstaatlichen.“ Mit der sagenhaften Begründung, damit würde die Digitalstrategie des BMG konterkariert. Was immer das heißen mag.

Die Ärzteschaft will stattdessen weiterhin als Gesellschafter der gematik mitbestimmen. Angeblich fürchtet man, eine Verstaatlichung würde „die Anwender der digitalen Prozesse im Gesundheitswesen“ komplett ausschließen. Das kann man vielleicht so sehen. Muss man aber nicht. Wenn man nämlich weiß, dass von den bisher sinnlos versemmelten Digitalisierung-Jahren mindestens die Hälfte auf das Konto der verfassten Ärzteschaft geht, kann man das auch anders sehen.

Nämlich als verzweifelten Versuch, in Reichweite des Fahrersitzes zu bleiben, um ab und an nochmal aufs Bremspedal zu treten. Dass der Bundesgesundheitsminister bisher nicht durch sicheren Fahrstil aufgefallen ist – um im Bild zu bleiben – mag ja sein. Aber dass gerade die Ärzteschaft ohne digitalen Führerschein das besser hinbekommt, ist kaum vorstellbar. Man will es ja nicht wirklich hinbekommen. Allein mit den endlosen Status-Debatten der gematik spielt man wieder auf Zeit.

Wir meinen: Der Ärztetag hat durchaus recht damit, dass das BMG bei der Digitalisierung komplett versagt hat – in bald fünf Legislaturperioden, wechselweise unter SPD-, CDU- und FDP-Führung. Dass Deutschland aber vor allem deswegen Schlusslicht in Europa ist, weil gerade die Ärzteverbände jeden Ansatz bisher erfolgreich torpediert haben, gehört auch zur Wahrheit.

Der alte und neue Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt sagte in Essen: „Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie wir digitale Anwendungen und künstliche Intelligenz im Sinne arztunterstützender Anwendungen wirklich praxistauglich und sicher für die Patientenversorgung machen können.“ Das finden wir auch. Und würden uns freuen, wenn seine Organisation jetzt auch tatkräftig daran mitarbeitet.

Sprechstunde bei Dr. med. ChatGPT

Dem Megathema ChatGPT haben wir bereits einige Blogbeiträge gewidmet und gelernt, dass die KI medizinische Prüfungen bestehen kann oder auch als Autor wissenschaftlicher Artikel in Frage kommen wird. Aber wie steht es um die Interaktion mit den Patienten und deren Fragen? Es ist ja bekannt, dass mit der Informationsflut durch digitalen Medien auch eine zunehmende Zahl von Patientenanfragen einher geht – die unter immer größerem Zeitdruck beantwortet werden müssen.

Eine aktuelle Studie* zeigt nun, dass ChatGPT bei der Beantwortung von Patientenfragen durchaus hilfreich sein kann. In der Arbeit wurden Antworten von Ärzten und Chatbots mit künstlicher Intelligenz auf Patientenfragen, die in einem öffentlichen Social-Media-Forum gestellt wurden miteinander verglichen.
Die grundlegende Frage: Kann ein Chatbot-Assistent mit künstlicher Intelligenz Antworten auf Patientenfragen geben, die von vergleichbarer Qualität und Empathie sind wie die von Ärzten verfassten? Ja, denn die Chatbot-Antworten wurden den Antworten der Ärzte vorgezogen und sowohl hinsichtlich der Qualität als auch des Einfühlungsvermögens deutlich besser bewertet.

Fazit der Autoren: Eine weitere Erforschung dieser Technologie im klinischen Umfeld wäre gerechtfertigt, z. B. die Verwendung eines Chatbots zur Erstellung von Antworten, die dann von Ärzten bearbeitet werden könnten. Zukünftige randomisierte Studien sollten untersuchen, ob der Einsatz von KI-Assistenten die Beantwortung von Fragen verbessern, dadurch das Burnout-Risiko der Ärzte gesenkt und die Patientengesundheit verbessert werden könnten.

* Ayers JW, Poliak A, Dredze M, et al. Comparing Physician and Artificial Intelligence Chatbot Responses to Patient Questions Posted to a Public Social Media Forum. JAMA Intern Med. Published online April 28, 2023.

Datenschutz als Digitalisierungsbremse?

Wer Digitalisierung blöd findet, bemüht gerne den Datenschutz als „Terminator“. Zumal es im Gesundheitswesen ja um das Patientenwohl geht … Um es vorweg zu sagen: Ich finde Datenschutz extrem wichtig. Allerdings finde ich auch, dass sich nicht jeder, der meint das Pflegen einer digitalen Akte sei ihm zu aufwendig, hinter diesem Argument verschanzen sollte.

Auch auf der DMEA in Berlin Ende April ging es um dieses Thema – im „Debattierclub“ bei einer Diskussion zwischen dem Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung, Prof. Ulrich Kelber, und dem Chef der gematik, Dr. Markus Leyck Dieken. Kelber erinnerte daran, dass die elektronische Patientenakte (ePa) bereits vor 20 Jahre im Bundestag beschlossen wurde. Auch er würde die ePA gerne nutzen, ist von den bisherigen Angeboten aber nicht überzeugt. Unter anderem fehlt ihm eine strukturierte Darstellung der Daten und Dokumente. Zudem sei er nicht bereit, bei neuen Anwendungen Sicherheitslücken über mehrere Monate zu tolerieren. Patientinnen und Patienten über den Sicherheitsstandard ihrer ePA selbst entscheiden zu lassen, hält er nur dann für sinnvoll, wenn grundlegende Datenschutzstandards gewährleistet seien.

Leyck Dieken warf ein, dass es vor dem Hintergrund des deutschen Beitritts zum Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) 2024 einheitliche Lösungen brauche. Die Spielregeln würden de facto von den Ländern definiert, die bereits Rezepte zwischen den Mitgliedsstaaten versenden und einlösen können. Die vielerorts verbreitete Elektronische Gesundheits-ID könnte den Authentifizierungsprozess für den Zugang zum E-Rezept per App vereinfachen, ohne dass sich Bypass-Lösungen etablieren, die den geltenden Datenschutz ignorieren.

Auch Ulrich Kelber sprach sich für die Elektronische Gesundheits-ID sowie europäische Lösungen aus. Zugleich wies er darauf hin, dass der geltende Rechtsrahmen in den Ländern unterschiedlich ausgelegt werde. In Finnland sei es nach einem Leak von Gesundheitsdaten zu Erpressungen von Versicherten gekommen, mahnte er an. Am Ende plädierten sowohl Kelber als auch Leyck Dieken für Lösungen mit hohen Sicherheitsstandards. Bleibt zu hoffen, dass die nicht erst 20 Jahre nach dem EHDS-Beitritt kommen.

Nach Presseinformationen der DMEA.

Wissenschafts-Autor Chat GPT

Wird die KI die Zukunft der schreibenden Zunft verändern? Ja, und zwar deutlich. Manche Redaktionen und Agenturen denken immer noch, dass noch Hoffnung für ihr Überleben besteht. Wir glauben nicht mehr daran. Der großflächige KI-Einsatz wird viele Jobs in Redaktionen, Text- und P/R-Agenturen überflüssig machen. Auch kleine Web-Agenturen, die sich als digitale Werkbank verstehen sind gefährdet, denn die KI-Tools können den Designprozess automatisieren.

Und die wissenschaftlichen Autoren? Nature hat sich schon mit dieser Frage beschäftigt. Etwa 60 Prozent der befragten Wissenschaftler nutzen ChatGPT zum Spaß ohne Forschungsbezug (schließlich muss der Umgang ja irgendwie erlernt werden), aber jeweils etwa 16 Prozent verwenden sie, um Forschungsmanuskripte zu schreiben, Präsentationen zu erstellen oder Literaturrecherchen durchzuführen.

Im Journal of Educational Evaluation for Health Professions wurde gefragt, ob ein Chatbot mit künstlicher Intelligenz der Autor eines wissenschaftlichen Artikels sein kann? Antwort: Aktuell KI-Chatbots wie ChatGPT sind viel fortschrittlicher als Suchmaschinen, da sie Originaltexte produzieren, aber sie bleiben immer noch auf der Niveau einer Suchmaschine, da sie keine Verantwortung für ihre Texte übernehmen können. Aus diesem Grund können sie aus forschungsethischer Sicht auch keine Autoren sein.

Selbstverständlich werden wissenschaftliche Autoren zukünftig KI-Chatbots als Helferlein nutzen, aber sie sollten sich darüber bewusst sein, dass die Authentizität und Richtigkeit jedes von der KI generierten Textes überprüft werden muss.

Herausforderungen der digitalen Pflege

Übermorgen (Dienstag, 25. 4. 2023) startet die DMEA in Berlin – nach eigenen Angaben „Europas führendes Event für Digital Health“. Bereits letzte Woche gab es dazu ein Pressegespräch. Mit dabei: Heiko Mania, Vorstandsmitglied im bvitg, dem Bundesverband Gesundheits-IT. Sein Thema ist die Digitalisierung in der Pflege, die der nicht gerade rasend schnellen Digitalisierung in der Medizin noch hinterherhinkt.

Die Aufgabe fasste er so zusammen: „Es geht nicht nur um Digitalisierung allein, sondern darum, Prozesse zu verändern, die dann bei den Pflegefachkräften vor Ort in der Versorgung ankommen sollen. Die größten Baustellen, die wir im Moment haben, sind neben der Finanzierung der Digitalisierung die fehlende flächendeckende performante Infrastruktur und – da die Pflege sehr sektoral organisiert ist – das Thema Interoperabilität, sowie historische Gesetze, die aus dem Papier heraus gedacht wurden und verändert werden müssen.“

In ca. 70% der deutschen Einrichtungen dokumentieren die Pflegekräfte noch mit Papier und Stift. Das ist nicht nur sehr zeitaufwendig, sondern oft auch lückenhaft – mit daraus resultierenden Gefährdungen für die Pflegebedürftigen. Hier ist Abhilfe dringend nötig. Durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) wird die digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation bis zum 1. Januar 2025 explizit gefordert. Andernfalls drohen hier den Kliniken und Gesundheitseinrichtungen empfindliche Abschläge.

Im Zuge der Digitalisierung wird sich der Beruf der Pflegenden sehr verändern: Prädiktion und Präskription werden die Pflegemaßnahmen zukünftig beeinflussen, wie Mania an anderer Stelle schon betonte (Link). Um nicht die gleichenden Fehler zu machen wie bei der Elektronischen Patientenakte (ePA), sollte man die Pflegenden rechtzeitig abholen und einbeziehen. Denn nur so werden sich Entlastungseffekte stellen schnell und spürbar einstellen.