Die Zukunft der medizinischen Information

Das Internet der Un-Dinge

In der medizinischen Kommunikation reden Menschen mit Menschen, Menschen mit Maschinen und zunehmend auch Maschinen mit Maschinen – im Internet der Dinge. Aber dort herrschen mitunter unmögliche Zustände.

Heute öffnet in Hannover die CeBit ihre Tore. Unter dem Motto „Wie die Luft zum Atmen“ steht dabei das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) im Vordergrund. Kostengünstige Sensoren und Kleinstrechner sollen Alltagsgegenstände und Maschinen miteinander vernetzen. Bis 2020 soll es Branchenschätzungen nach etwa 50 Milliarden vernetzte Geräte geben.

Ein Hotspot dieser Entwicklung ist die Medizintechnik. Dabei geht es nicht nur um Wearables und die Planung des täglichen Work-out, sondern beispielsweise auch um automatisierte Diagnosechips oder die Steuerung von Prothesen. Diese hoch sensiblen Daten können dann direkt von Maschine zu Maschine oder zum Arzt weitergeleitet werden.

Leider ist es um die Datensicherheit im IoT nicht allzu gut bestellt. Unter der Überschrift „Keine Sicherheit, nirgends“ listet die Zeitschrift Technology Review in ihrer März-Ausgabe ein paar besonders krasse Fälle von Datenschluderei auf. Dazu gehört auch eine elektronische Beinprothese – aktuelles Modell vom Dezember 2014 –, deren Bluetooth-Schnittstelle dauerhaft kommunikationsbereit ist. Die eigentlich zur Sicherheit gedachte PIN ist auf den Standard 0000 eingestellt und lässt sich nicht verändern. So können Außenstehende die Einstellungen der Prothese manipulieren.

IP-Kameras, Autotüren, Snowboard-Bindungen – die Liste der vernetzten und leicht hackbaren Geräte ist lang. Der Autor nennt Zahlen, die einen schauern lassen: 90 Prozent der Geräte sammeln persönliche Daten, 80 Prozent sind nicht hinreichend passwortgeschützt und 70 Prozent übertragen ihre Daten unverschlüsselt ins Netz. Sein Fazit: „Viele IoT-Unternehmen benehmen sich so, als seien mehrere Jahrzehnte IT-Sicherheit spurlos an Ihnen vorbei gegangen.“

Keine guten Aussichten für das Internet der Un-Dinge …

Technology Review: http://www.heise.de/tr/magazin/2015/3/4/

Revolutioniert Apples Research Kit die Studienlandschaft?

Letzten Montag hat Apple das Research Kit vorgestellt. Die neue Open-Source-Plattform soll Ärzten und Wissenschaftlern helfen, mithilfe von iPhone-Apps Daten für die medizinische Forschung zu sammeln. Wie groß der Hype ist, erlebte die Stanford University im Rahmen eines Pilotprojekts. Innerhalb von 24 Stunden konnte man 10.000 Teilnehmer für eine kardiovaskuläre Studie rekrutieren – dafür braucht man sonst gerne mal ein Jahr und mehrere Dutzend Studiencenter.

Natürlich ist das noch kein Durchbruch und natürlich sind iPhone-User nicht repräsentativ für die Bevölkerung – weder in den USA noch in Deutschland. Trotzdem wird es spannend sein zu verfolgen, wie Apps sich zukünftig in diesem Bereich schlagen.

www.appleinsider.com

War 2014 ein Meilenstein für die eHealth-Entwicklung?

Jedes Jahr im November findet in San Diego, Kalifornien, eine der wichtigsten eHealth-Konferenzen weltweit statt: Exponential Medicine oder abgekürzt Xmed. Jetzt wurde der letztjährige Kongressband veröffentlicht. Tenor: Das Jahr 2014 markierte weltweit einen Wendepunkt in der eHealth-Entwicklung.

Xmed ist eine Konferenz, die sich mit allen Aspekten der digitalen Medizin beschäftigt: Entwicklungen im 3D-Druck, individuelle Stammzelllinien, künstliche Intelligenz, Point-of-Care Diagnostik im Lab-on-a-Chip-Format, Bioinformatik, Genomik – alle diese sich rasch entwickelnde Technologien werden hier von ausgewiesenen Experten vorgestellt und interdisziplinär diskutiert. Der jüngst erschienene Kongressband der Xmed 2014 sieht das Jahr 2014 als weltweiten Wendepunkt in der Technologie-Entwicklung und identifiziert als Treiber:

  • Gute Finanzierung: Risikokapitalgeber und andere institutionelle Anleger investieren konsequent in digitalen Gesundheitslösungen, mit einem zweistelligen Plus gegenüber den Vorjahren.
  • Quantified-self Explosion: Während die Entwicklung hier bis 2012/13 eher zögerlich verlief, wurden 2014 mehr als 42 Millionen Wearables verkauft. Eine Entwicklung, die 2015 und 2016 weiter an Fahrt zunehmen dürfte.
  • Big Data-Entwicklung: Die Erfassung individualisierter Daten – laut IBM jeden Tag rund 2,5 Trillionen Byte – ermöglicht auch im Gesundheitsbereich zielgerichtete Lösungen. Als besonderer Meilenstein gilt die Einführung von openFDA im Juni 2014. Über offene Schnittstellen soll dadurch der Zugriff auf und die Analyse von großen Datenmengen erleichtert werden.
  • Kritische Masse an Patientenakten: Ein Hauptfokus von Obamacare in den USA waren elektronische Patientenakten und im Jahr 2014 wurde hier der Turnaround erreicht. Während 2009 noch 78% der Ärzte und 90% der Krankenhäuser in USA Patientenakten auf Papier führten, sind Ende 2014 die elektronischen Patientenakten (electronic health records, EHR) im Alltag angekommen. 81% der Niedergelassenen und 97% der Kliniken dokumentieren elektronisch.

„We are in the phase where we are starting to see real outcomes“ analysieren die Experten von Razorfish, einer der weltweit größten Digitalagenturen im Gesundheitsbereich. Großen Nachholbedarf sehen sie jedoch im Präventionsbereich. eHealth kann Patienten und staatlichen Systemen zu mehr Gesundheit bei geringeren Kosten verhelfen – letztlich ist aber von jedem Initiative gefragt. Und da mangelt es zum Teil erheblich – analog und digital.

eHealth: Exponential Medicine Conference Report (Xmed)

www.razorfishhealthware.com

www.singularityu.org

open.fda.gov

Diskriminierung des Digitalen

Wie heißt es doch so schön buch-antiquarisch: „Don´t judge a book by its cover“. Aber am Inhalt sollte man es schon bewerten können. Gleicher Inhalt bedeutet jedoch nicht zwingend auch Gleichwertigkeit. Zumindest nicht, wenn man sich das aktuelle Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (Pressemeldung 30/15 vom 05.03.2015) ansieht. Die Richter stellen nämlich folgenden Unterschied fest: werden die Inhalte eines Buches auf totem Holz abgedruckt, dann handelt es sich offenbar um ein Kulturgut, welches man zu einer ermäßigten MwSt von 7% beziehen kann. Das E-Book mit gleichem Inhalt ist dagegen nur eine schnöde Dienstleistung: also gelten 19% MwSt. Das entspricht zwar in Deutschland (im Gegensatz zu Frankreich) den bereits jetzt geltenden Regeln – aber hatte nicht der Koalitionsvertrag unserer Bundesregierung etwas anderes gefordert?

„Auf europäischer Ebene wird die Koalition darauf hinwirken, dass auf E-Books, E-Paper und andere elektronische Informationsmedien künftig der ermäßigte Mehrwertsteuersatz Anwendung findet.“

Wir warten auf Erfüllung dieses Versprechens!

Open Access: Wem gehören wissenschaftliche Informationen?

Sollen wissenschaftliche Informationen frei zugänglich sein? Auf jeden Fall wird auch 2015 weiter diskutiert, wer diese Open-Access-Angebote finanzieren soll – zum Beispiel auf der Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) in Berlin.

Die von Ex-Springer-Vordenker Arnoud de Kemp initiierte Konferenz fand 2015 zum zehnten Mal statt. Viel versprechender Titel der Veranstaltung: Web 25 – The Road Ahead. Exploring the Future of Scholarly Communication. Die Teilnehmer aus ganz Europa diskutierten über alle Facetten des wissenschaftlichen und medizinischen Verlegens, besonders kontrovers über Open Access (OA) und den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen.

Der Direktor des American Institute of Physics, Frederick Dylla, fasste seine Position so zusammen „Früher, als ich noch aktiv als Physiker geforscht habe, hat es mich nie interessiert, wer die Veröffentlichung meiner Beiträge bezahlt. Das hat sich komplett verändert.“ Seit zwei Jahren sind Forschungseinrichtungen wie seine in den USA aufgefordert, für wissenschaftliche Publikationen und Daten konkrete Open-Access-Richtlinien zu formulieren. Und dabei spielt der Kostenfaktor eine entscheidende Rolle.

Die Veröffentlichung auf dem Weg einer Creative Commons (CC)-Lizenz sieht für Wissenschaftler vor, ihre (mit öffentlichem Geld geförderten) Ergebnisse so zu publizieren, dass jedermann die Publikationen einsehen und – unter Hinweis auf den Autor („by“ = der Name des Urhebers muss genannt werden, deshalb CC-BY) und mit Link zur Originalquelle – weiterverwenden kann.

Dieses urheberrechtlich gewagte Modell hat in der akademischen Welt durchaus Befürworter, während die Verlage es erwartungsgemäß sehr kritisch sehen. Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels zitiert dazu stellvertretend als Befürworter Robert Kiley vom britischen Wellcome Trust: „Kileys zentrales Argument: CC-BY sei eine Art Beschleuniger für die Verbreitung aktueller wissenschaftlicher Information. Die freie Weiternutzung etwa von Artikeln erhöhe deren Reichweite und Leserschaft nachweislich. Kiley sprach in dem Zusammenhang von „promiscuous content“ – und will das als guten Befund verstanden wissen.“

Die großen Wissenschaftsverlage bieten bereits seit Jahren eigene OA-Lösungen an, um nicht ins Abseits zu geraten. Hier stehen dann allerdings andere Creative Commons-Lizenzen im Vordergrund, in der Regel die Variante CC-BY-NC-ND. NC-ND bedeutet: Weiterverwendung des Materials für kommerzielle Zwecke wird nicht gestattet (Non-Commercial), auch eine inhaltliche Veränderung insoweit ausgeschlossen (No Derivatives), als eine bearbeitete Fassung nicht ohne weiteres verbreitet werden darf.

Wohin die Reise letztlich geht, blieb auch nach einer emotionalen Diskussionsrunde offen. Sicher scheint: Die Sponsoren wissenschaftlicher Forschung – zu denen zum Beispiel der bereits erwähnte Wellcome-Trust gehört, aber auch die öffentliche Hand – werden auf Dauer nicht doppelt zahlen wollen: für die Forschung selbst und dann noch einmal für den Kauf der Ergebnisse.

ape2015

Weitere Informationen:

www.ape2015.eu

http://www.boersenblatt.net/863646/