Trendbericht Virtual Reality: So hilft die virtuelle Realität der Medizin

In der Gaming-Szene ist Virtual Reality längst etabliert. Die Technologie revolutioniert aber auch die Ausbildung von Medizinern. Ärzte trainieren an virtuellen Patienten neue Behandlungstechniken und bereiten sich auf operative Eingriffe vor – von der Zahn-OP bis zur Organtransplantation.

Virtuelle Realität hilft Chirurgen während einer Operation. So kennt man es von früher: Wenn Medizinstudenten an das Durchführen von Operationen herangeführt werden, lernen sie am Modell: an Tieren oder an Menschen, die ihren Körper nach dem Tod für die Forschung bereitstellen. Als praktizierende Ärzte müssen sie schließlich lebenden Patienten helfen – da kann ein Fehler Lebensgefahr bedeuten.
Dank der technologischen Entwicklung lassen sich heutzutage brenzlige Situationen wie chirurgische Operationen fast lebensecht simulieren. Mit Virtual Reality üben Studenten lebensgefährliche Eingriffe vorab: Mit einer VR-Brille kann ein „Arzt-Lehrling“ frei in der virtuellen Realität agieren – theoretisch sogar vom heimischen Schreibtisch aus. Auch 3D-Modelle von Skeletten, Blutgefäßen oder komplexen Organen lassen sich via Brille darstellen und betrachten.
Genauso gibt es bereits Anwendungen, bei denen man wie bei einer Computertomographie das 3D-Bild in einzelnen Schichten betrachten kann. Mit speziellen Handschuhen oder einer Art Controller können die angehenden Mediziner mit den VR-Anwendungen interagieren. So lassen sich Bilder drehen oder man kann tief in den virtuellen Körper eintauchen und die Beschaffenheit von Organen besser erfassen. Auch der Tastsinn kann so simuliert werden.

An der Philipps-Universität Marburg entwickeln Informatikstudenten beispielsweise derzeit ein System, das es Medizinern ermöglichen soll, in einer VR-Umgebung individuelle 3D-Scans anzuschauen. Das Besondere an dem Projekt: Es soll als Multiuser-Anwendung konzipiert werden. Studierende sollen gemeinsam im Raum freistehende Modelle anschauen und mit ihnen interagieren. „So könnte man in Zukunft auch Patienten komplexe Sachverhalte leichter visuell zugänglich machen“, erklärte Prof. Dr. Andreas H. Mahnken, Universitätsklinikum Marburg. Auch bei der Behandlung außerhalb des OPs lässt sich Virtual Reality in der Medizin nutzen. So könnten die Brillen in der Psychotherapie bei Paranoia oder starken Ängsten eingesetzt werden, um Patienten so gefahrlos mit ihren Angstauslösern zu konfrontieren. Das könnte die Rückfallquote verringern. Ein weiteres Anwendungsgebiet könnte die Behandlung von sogenannten Phantomschmerzen sein. Daran leiden Patienten oft nach der Amputation von Gliedmaßen, was manchmal Schlafstörungen auslöst und im Alltag einschränkt. Die Virtual Reality simuliert zum Beispiel einen fehlenden Arm – der Betroffene empfindet weniger Schmerzen.

Anwendungen von Augmented Reality können auch bei Operationen helfen. So haben Forscher im Rahmen des Projekts 3D-ARILE ein neuartiges Augmented Reality-System für die Lymphknotenentfernung bei Krebspatienten entwickelt. Das System unterstützt den Arzt durch visuelle Markierungen während der Operation. Eine Infrarotkamera erfasst das erkrankte Gewebe und rekonstruiert es in 3D. Durch eine AR-Brille sieht der Operateur so genau, welche Teile des Gewebes er entfernen muss. „Die Technologie dient als Navigationshilfe: Wo muss ich schneiden? Habe ich alles Nötige herausgeschnitten?“ erklärt Dr. Stefan Wesarg vom Fraunhofer IGD in Darmstadt. Mittels Augmented Reality können auch Röntgenbilder als visuelle Ergänzung bei OPs helfen. Die Bilder der Knochenstruktur verschmelzen dann mit dem echten Blickfeld und werden sozusagen darauf projiziert.
Die Weiterentwicklung der Technologie kostet allerdings Zeit und Geld. Oftmals sind die Brillen noch schwer, führen bei längerer Anwendung teils zu Schwindel oder sie überhitzen. Die Medizin profitiert dennoch schon heute stark von den Entwicklungen der Gaming-Szene: Bezahlbare Produkte können bereits für medizinische Software adaptiert werden.

(Quelle: https://healthcare-mittelhessen.eu/virtual-reality-digitale-ausbildungshelfer-fuer-die-reale-medizin; Text gekürzt)

VR-Visualisierung unterstützt Erforschung molekularer Netzwerke

Netzwerke bieten eine leistungsstarke Darstellung- und Analysemöglichkeit komplexer Systeme. Je nach Größe und Komplexität des Netzwerks stoßen aber viele Visualisierungen an ihre Grenzen. Ein derartig komplexes, kaum darstellbares System bilden die Protein-Interaktionen im menschlichen Körper. Jörg Menche, Adjunct Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Professor an der Universität Wien sowie Forschungsgruppenleiter der Max Perutz Labs (Uni Wien/MedUni), entwickelte mit seinem Team eine immersive Virtual Reality (VR)-Plattform, die dieses Problem löst. Mithilfe der VR-Visualisierung von Proteininteraktionen sollen zukünftig Zusammenhänge besser erkannt und jene genetischen Abweichungen identifiziert werden können, die für seltene Krankheiten verantwortlich sind.

Je größer und komplexer Netzwerke sind, desto schwieriger wird auch ihre Visualisierung auf dem Bildschirm. Herkömmliche Computerprogramme stoßen dabei schnell an ihre Grenzen. Dieser Herausforderung widmeten sich Netzwerkwissenschaftler Jörg Menche und seine Forschungsgruppe am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie entwickelten eine VR-Plattform, die es ermöglicht, riesige Datenmengen und deren komplexes Zusammenspiel auf eine einzigartige, intuitive Weise zu untersuchen.

Besonders wichtig kann die Darstellung komplexer Daten bei der Suche nach der Ursache seltener Erkrankungen sein, denn der menschliche Körper stellt mit seinen rund 20.000 Proteinen, die im menschlichen Genom codiert sind und miteinander interagieren, ein riesiges komplexes Netzwerk dar. Egal ob Bewegung oder Verdauung – auf molekularer Ebene basieren sämtliche biologischen Prozesse auf der Interaktion zwischen Proteinen. Stellt man die Protein-Interaktionen in einem Netzwerk dar, entsteht ein kaum darstellbares Bild aus rund 18.000 Punkten – Proteinen – und rund 300.000 Strichen zwischen diesen Punkten. Um dieses Bild „lesbar“ zu machen, nutzten Menche und seine Forschungsgruppe die von ihnen entwickelte Virtual Reality (VR)-Plattform und schafften es in Zusammenarbeit mit der St. Anna Kinderkrebsforschung erstmals, die Gesamtheit der Proteininteraktion sichtbar zu machen. Dies ermöglicht es, das riesige und komplexe Netzwerk interaktiv zu erkunden.

Für ihre Studie, die in Nature Communications publiziert wurde, identifizierten Studienautor Sebastian Pirch und Menches Forschungsgruppe Verbindungsmuster zwischen verschiedenen Proteinkomplexen im menschlichen Körper und brachten diese mit ihrer biologischen Funktion in Verbindung. Zudem identifizierten die WissenschaftlerInnen mithilfe globaler Datenbanken spezifische Proteinkomplexe, die mit einer bestimmten Krankheit assoziiert werden. „Während herkömmliche Darstellungsformen wie ein einziger Heuhaufen aussehen würden, ermöglicht die 3-dimensionale Darstellung die genaue Analyse und Beobachtung der verschiedenen Proteinkomplexe und ihrer Interaktionen“, so Studienautor Pirch. Dies kann insbesondere bei der Identifikation seltener Gendefekte wichtig und entscheidend für therapeutische Maßnahmen sein. „Unsere Studie stellt einerseits einen wichtigen ‚Proof of concept‘ unserer VR-Plattform dar, andererseits zeigt sie unmittelbar das enorme Potenzial der Visualisierung molekularer Netzwerke“, so Projektleiter Menche. „Gerade bei seltenen Erkrankungen, schweren Immunerkrankungen, können Proteinkomplexe, die mit spezifischen klinischen Symptomen assoziiert werden, genauer analysiert werden, um Hypothesen über ihre jeweiligen pathobiologischen Mechanismen zu entwickeln. Dies erleichtert die Annäherung an Erkrankungsursachen sowie infolge die Suche nach gezielten therapeutischen Maßnahmen.“

Die von Menches Forschungsgruppe entwickelte Plattform ist auf maximale Flexibilität und Erweiterbarkeit ausgelegt. Zu den wichtigsten Funktionen gehören der Import von benutzerdefinierten Codes für die Datenanalyse, eine einfache Integration externer Datenbanken und hoher Gestaltungsspielraum für beliebige Elemente der Benutzeroberfläche. Dabei konnten die ForscherInnen auf eine Technologie zurückgreifen, die normalerweise in der Entwicklung von 3-D-Computerspielen genutzt wird, wie zum Beispiel für das weltweit populäre Spiel Fortnite. Durch die Veröffentlichung des Quellcodes hoffen die WissenschaftlerInnen, auch andere EntwicklerInnen vom Potenzial von Virtual Reality zur Analyse wissenschaftlicher Daten überzeugen zu können.

(Quelle: Pressemitteilung des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom 23.04.2021, gekürzt)

Wissenschaftliche Studie in Nature Communications „VRNetzer: A Virtual Reality Network Analysis Platform“ DOI: 10.1038/s41467-021-22570-w.

Patienten: Beruhigung mittels Virtual Reality

In der letzten Woche hatten wir uns mit dem Einsatz von VR bei Angststörungen befasst – heute geht es um die Angst während des Krankenhausaufenthalts. Die ständige Sorge um einen bevorstehenden Eingriff und die tatsächlichen Schmerzen, die man während oder nach einem Eingriff erleiden kann, belasten verständlicherweise jeden. VR stellt sich als verlockende Lösung dar, um den Patienten in solchen Situationen zu helfen, sich zu entspannen und in geringerem Maße zu leiden.

In einer kürzlich durchgeführten Pilotstudie hatten Patienten, die im St. George’s Hospital in London operiert wurden, die Möglichkeit, vor und während der Operation ein VR-Headset zu benutzen, um während des Eingriffs beruhigende Landschaften zu sehen. 100 % der Teilnehmer berichteten, dass sich ihre allgemeine Krankenhauserfahrung durch das Tragen des Headsets verbessert hat, während 94 % sagten, dass sie sich entspannter fühlten. Darüber hinaus gaben 80 % an, dass sie nach dem Tragen des Headsets weniger Schmerzen empfanden, und 73 % berichteten, dass sie sich weniger ängstlich fühlten:

Ein Patient: „Das Headset half mir, mich von dem, was vor sich ging, abzulenken, und ich musste mich bewusst bemühen, nicht einzuschlafen, es war äußerst entspannend. Ich wusste nicht, wie lange ich da drin war oder was um mich herum vor sich ging – ich war völlig in die VR-Erfahrung eingetaucht.“

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